Interview mit Prof. Dr. Julian Kölbel, Assistenzprofessor am Center for Financial Services Innovation an der Universität St. Gallen

Prof. Dr. Julian Kölbel

Prof. Dr. Julian Kölbel

Herr Kölbel, sie forschen am Center for Financial Services Innovation an der HSG. Was muss man sich darunter vorstellen?

Das FSI ist ein Center, welches interdisziplinäre Forschung und Lehre rund um das Thema Financial Services betreibt. Wir haben insgesamt sieben ProfessorInnen, welche an verschiedenen Schools angesiedelt sind, von Finance, über Management, Jura, bis hin zu Computer Science. Wir gewinnen wissenschaftliche Erkenntnisse und machen sie gemeinsam Studenten und Entscheidungsträgern zugänglich.

Welche Trends sehen Sie im Bereich nachhaltige Geldanlagen?

Ich sehe eine Trendwende beim Wachstum und einen stärkeren Fokus auf Qualität und Wirkungsorientierung. Während nachhaltige Geldanlagen in den letzten Jahren immer sehr stark gewachsen sind, hat sich dieser Trend abgeschwächt. Das liegt unter anderem daran, dass man strenger geworden ist, bei der Beurteilung was als nachhaltig gilt. Ich werte das als positive Entwicklung, es bedeutet, dass Kunden kritischer geworden sind und dass Anbieter nur mit klar positionierten Produkten überzeugen können.

Zudem tut sich ein atlantischer Graben auf. Während in Europa Nachhaltigkeit und damit nachhaltig investieren noch breit akzeptiert wird, ist es in den USA in den Maelström der Polarisierung geraten. Das generiert Probleme für internationale Finanzinstitute und führt dazu, dass man in der Kommunikation viel vorsichtiger geworden ist. An der Tatsache, dass Nachhaltigkeitsprobleme dringend angegangen werden müssen, ändert das freilich nichts.

Die Schweiz hat Richtlinien gegen Greenwashing für Finanzinstitute erarbeitet. Wo stehen wir damit im internationalen Kontext?

In der Schweiz hat die Finanzindustrie eine letzte Chance zur Selbstregulierung bekommen. Damit sind die Zügel in der Schweiz etwas lockerer als im Ausland, aber vermutlich werden die noch angezogen. Greenwashing ist ein Thema, das die Leute aufregt, weil es Parallelen zu Täuschung und Heuchelei hat. Es ist auch ein attraktives Thema für die Medien, die Gelegenheit die unlauteren Nachhaltigkeitsbestrebungen von Banken zu entlarven lässt sich keine Zeitung entgehen.

Greenwashing ist allerdings relativ schwierig dingfest zu machen. In den seltensten Fällen ist es vorsätzliche Täuschung, was ja ohnehin bereits verboten ist. Greenwashing passiert in der Regel dann, wenn vage Angaben bezüglich Nachhaltigkeit mit einer emotionalen Kommunikation gepaart werden. Bei Kunden entsteht dann ein Eindruck, der zwar nicht den Tatsachen entspricht, aber ein gutes Gewissen erzeugt. Am Ende kommt die Enttäuschung, weil jemand aufzeigt, dass das Produkt nicht das hält, was man sich erhofft hat. Lösen könnte man das Problem mit einem leicht verständlichen und wissenschaftlich fundierten Label.

Welche Schwierigkeiten ergeben sich bezüglich der Messbarkeit und Standardisierung, wenn es um nachhaltige Finanzierung geht?

Es gibt zwei Probleme. Das eine ist, dass Nachhaltigkeit ein Konzept wie Gerechtigkeit ist. Nachhaltigkeit kann man nicht exakt messen, es wird immer verschiedene Meinungen und Interpretationen geben. Das bedeutet, dass bessere Standards die Diskussionen nicht beenden werden. Was nachhaltig ist, muss immer wieder neu überlegt werden. Das zweite Problem ist aber, dass eine zuverlässige Datenbasis fehlt. Somit gibt es nicht nur Uneinigkeit über die Interpretation, sondern auch über Fakten, und das ist mühsam. Ich würde daher für einen relativ simplen, aber verpflichtenden Offenlegungsstandard plädieren, so dass für die wichtigsten Indikatoren verlässliche Daten vorhanden sind. Leider gibt es momentan eine Konkurrenz verschiedener Standards, was wirklich viel Energie verschwendet.

AI ist in aller Munde: Sehen Sie Anwendungsbeispiele im Bereich Nachhaltigkeit bei Finanzdienstleistern?/Wie könnte AI von Finanzdienstleistern im Bereich ESG angewendet werden?

Vermutlich unterschätze ich die Anwendungsmöglichkeiten von AI, weil ich mir noch gar nicht vorstellen kann wie es sich entwickeln wird. Im Moment bietet AI die Möglichkeit, Textdaten effizient auszuwerten, so wie RepRisk das zum Beispiel macht. Neben den Berichten, die Firmen über sich selbst erstellen, kann man alternativ anschauen, was die Medien und das Internet über Firmen schreiben. So bekommt man eine Aussensicht, die sehr aufschlussreich ist, weil sie das erfasst, was die Gesellschaft im Moment als relevant ansieht. Durch den Einsatz von AI werden solche Analysen viel effizienter.