Nachweis der Steuerpflichtigeneigenschaft des Empfängers bei innergemeinschaftlichen Lieferungen

Tax News 2/2024

Umsatzsteuer

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Der EuGH hat sich im Urteil vom 29. Februar 2023, C-676/22, B2 Energy, mit der Frage beschäftigt, ob die Steuerfreiheit für eine innergemeinschaftliche Lieferung versagt werden kann, wenn der Steuerpflichtige den Nachweis nicht erbringen kann, dass die Waren an einen Steuerpflichtigen als (tatsächlichen) Empfänger der Waren geliefert wurden.

Sachverhalt

Die Klägerin B2 Energy ist eine tschechische Gesellschaft die im Jahr 2015 mehrere innergemeinschaftliche Lieferungen (im Folgenden kurz: ig Lieferungen) von Rapsöl von Tschechien nach Polen als umsatzsteuerfrei behandelt hat. Im Rahmen einer Steuerprüfung stellte die tschechische Steuerbehörde fest, dass aufgrund der vorgelegten Unterlagen zu den ig Lieferungen die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit nicht nachgewiesen werden konnte. Dabei bestritt die Steuerbehörde zwar nicht, dass die Gegenstände tatsächlich in einen anderen Mitgliedstaat transportiert wurden, sie war aber der Ansicht, dass B2 Energie keinen Nachweis erbracht hat, dass die Befähigung über die Gegenstände wie ein Eigentümer zu verfügen, auf die Person übertragen wurde, die in den Steuerunterlagen genannt war.
Daher sei auch der Nachweis, dass es sich bei den (tatsächlichen) Empfänger um Steuerpflichtige handelt, nicht erbracht worden. Die tschechische Steuerbehörde versagte daher die Steuerfreiheit der ig Lieferungen.

B2 Energy brachte dagegen vor, dass die materiellen Voraussetzungen für das Vorliegen der Steuerfreiheit der ig Lieferungen erfüllt seien, da die vorgelegten Nachweise klar beweisen, dass die Waren tatsächlich durch Steuerpflichtige im anderen Mitgliedstaat übernommen wurden, unabhängig davon, ob es sich dabei um die in den Steuerunterlagen angegebenen Empfänger oder um einen anderen steuerpflichtigen Empfänger handelt.

Das vorlegende Gericht hatte unter Bezugnahme auf das Urteil des EuGH vom 9. Dezember 2021, C-154/20, Kemwater ProChemie, Zweifel daran, ob die Steuerfreiheit für die ig Lieferungen versagt werden kann,

  • ohne dass die Steuerbehörden einen Nachweis einer Steuerhinterziehung erbringen, sondern
  • sich auf die fehlenden Nachweise beziehen, dass die Waren an einen bestimmten, in den Steuerunterlagen genannten Steuerpflichtigen geliefert wurden und
  • nur der Nachweis des tatsächlichen grenzüberschreitenden Transportes an einen anderen Steuerpflichtigen erbracht wurde.

Der EuGH führt in seiner Begründung eingangs aus, dass es Voraussetzung für die Steuerfreiheit von ig Lieferung ist, dass

  • das Recht, wie ein Eigentümer über einen Gegenstand zu verfügen, auf den steuerpflichtigen Erwerber übertragen werden muss,
  • dass der Lieferer nachweisen muss, dass der Gegenstand in einen anderen Mitgliedstaat befördert oder versandt wurde und
  • dass der Gegenstand aufgrund dieses Versands den Liefermitgliedstaat physisch verlassen haben muss.

Darüber hinaus dürfen nach dem EuGH keine weiteren Voraussetzungen für die Einstufung als ig Lieferungen aufgestellt werden. Der Grundsatz der steuerlichen Neutralität fordert nach ständiger Rechtsprechung des EuGH, dass die Steuerbefreiung gewährt wird, wenn die materiellen Voraussetzungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmte formelle Anforderungen nicht genügt hat.

Hinsichtlich der Nichteinhaltung von formellen Anforderungen stellt der EuGH fest, dass diese Verfehlung nur in zwei Fällen zur Versagung der Steuerfreiheit (für ig Lieferungen) führen kann:

  • In Fällen von (Beteiligung an) Steuerhinterziehung.
  • Wenn der Verstoß gegen eine formelle Anforderung den sicheren Nachweis verhindert, dass die materiellen Anforderungen erfüllt wurden.

Nach dem EuGH ist es demnach nicht Voraussetzung, dass die physische Lieferung der betreffenden Gegenstände an den in den Steuerunterlagen angegebenen Empfänger erfolgen muss.

Da kein Missbrauchsfall vorliegt beschränkt sich der EuGH in seinen Ausführungen auf die Nachweismodalitäten und führt an, dass die Mitgliedstaaten die Bedingungen für den Nachweise aufstellen müssen und diese insbesondere den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit, der Rechtssicherheit und der gängigen Praxis, wie sie für ähnliche Geschäfte üblich sind, entsprechen müssen.

Der EuGH hebt hervor, dass die Steuerbehörden im Hinblick auf die Steuerbefreiung alle Nachweise gebührend berücksichtigen müssen, um das Vorliegen einer tatsächlichen grenzüberschreitenden Lieferung untermauern zu können. Des Weiteren kann im Hinblick auf den Grundsatz der steuerlichen Neutralität vom Steuerpflichtigen nicht verlangt werden, dass er in allen Fällen, wenn der Empfänger der betreffenden Gegenstände nicht namhaft gemacht worden ist, nachweist, dass dieser Empfänger Steuerpflichtiger ist, um sein Recht auf Mehrwertsteuerbefreiung ausüben zu können, soweit sich aus den tatsächlichen Umständen mit Sicherheit ergibt, dass dieser Empfänger zwangsläufig Steuerpflichtiger war.

Sollte die nationale Steuerbehörde und die nationalen Gerichte unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände und trotz der vom Steuerpflichtigen vorgelegten Nachweise zu dem Schluss kommen, dass die materiellen Voraussetzungen nicht erfüllt sind, kann die Steuerbefreiung (unabhängig vom Vorliegen einer Mehrwertsteuerhinterziehung) versagt werden.

Zusammenfassung und Ausblick

  • Die Steuerfreiheit der ig Lieferung muss gewährt werden, wenn (i) das Recht, wie ein Eigentümer über die Gegenstände zu verfügen, auf den Erwerber, der Steuerpflichtiger ist, übergegangen ist und (ii) die Gegenstände von einem Mitgliedstaat in einen anderen befördert wurden.
  • Die physische Beförderung der Waren muss nicht an den in den Steuerunterlagen angegebenen Empfänger (d. h. den Käufer) erfolgen.
  • Die Steuerbehörden sind verpflichtet alle Unterlagen und Informationen zu berücksichtigen, um festzustellen, ob die Voraussetzungen für eine ig Lieferung erfüllt sind.
  • Falls keine Nachweise vorliegen, kann die Steuerbefreiung verweigert werden.

Der Steuerpflichtige trägt die Beweislast für die Erfüllung der materiellen Voraussetzungen. Die ständige Rechtsprechung des EuGH ändert die Beweislast nur insoweit, als sie es den Steuerbehörden und den Mitgliedstaaten untersagt, dem Steuerpflichtigen zusätzliche Bedingungen aufzuerlegen, die nicht mit den in der MwStSystRL anerkannten Zielen im Einklang stehen.

In der Praxis sollten daher die Nachweise bereits zum Zeitpunkt der Lieferung sorgfältig erhoben werden.