Das Recht auf Vorsteuerabzug auf dem Prüfstand - wie umfassend müssen Unternehmer ihre Lieferanten überprüfen?

Tax News 2/2024

Umsatzsteuer

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Der EuGH hat sich in seinem Urteil vom 11. Jänner 2024, Global Ink Trade, C-537/22, mit den Voraussetzungen der Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug beschäftigt. Der EuGH kommt zu dem Ergebnis, dass von den Behörden keine umfassenden Prüfungen der Lieferanten von Steuerpflichtigen abverlangt werden können.

Sachverhalt

Global Ink Trade ist in Ungarn im Großhandel tätig und hat im Zeitraum von Juli 2012 bis Juni 2013 verschiedene Büromaterialien von Office Builder erworben. Im Zuge von bei Office Builder durchgeführten Prüfungen stellte die Steuerverwaltung u. a. fest, dass diese Gesellschaft keine tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt habe und ihren steuerlichen Pflichten nicht nachgekommen sei.

Das von Global Ink Trade erworbene Büromaterial wurde jedoch tatsächlich an Global Ink Trade geliefert. Der Geschäftsführer von Global Ink Trade hat erklärt, dass er aufgrund einer Anzeige von Office Builder in einer Lokalzeitung die Geschäftsbeziehung zu diesem Unternehmen aufgenommen, dessen Daten im Handelsregister überprüft und sich persönlich mit einem Vertreter von Office Builder getroffen habe. Der gesamte weitere Austausch habe jedoch per E‑Mail stattgefunden. Die Steuerverwaltung stellte dabei fest, dass die verwendete E‑Mail-Adresse nicht mit der offiziellen E‑Mail-Adresse von Office Builder übereingestimmt habe. Zudem hat der Geschäftsführer von Office Builder bestritten, Rechnungen an Global Ink Trade ausgestellt und Korrespondenz mit Global Ink Trade geführt zu haben.

Basierend auf diesen erhobenen Beweisen vertrat die Steuerverwaltung die Auffassung, dass die angeblich von Office Builder an Global Ink Trade ausgestellten Rechnungen nicht glaubhaft seien, da der Geschäftsführer von Office Builder die Ausstellung ausdrücklich bestritt. Die Steuerverwaltung schloss daraus, dass es zwischen diesen beiden Unternehmen nicht zu den in diesen Rechnungen beschriebenen Umsätzen gekommen sei und versagte den Vorsteuerabzug von Global Ink u. a. mit der Begründung, dass Global Ink Trade bei der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht mit der gebotenen Sorgfalt gehandelt habe: Es wurde verabsäumt, sich ausreichend über die tatsächliche Identität ihres Lieferers und die Erfüllung dessen steuerlichen Pflichten zu informieren, so dass sie sich der passiven Steuerhinterziehung schuldig gemacht habe.

Global Ink Trade erhob gegen diese Entscheidung Klage beim Hauptstädtisches Stuhlgericht, dem vorlegenden Gericht, und machte geltend, dass die Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug in Bezug auf den in Rede stehenden Rechnungen durch die Steuerverwaltung nicht auf nachgewiesenen Umständen beruhe. Zudem habe die Steuerverwaltung verkannt, dass sie die Beweislast trage.

Die dem EuGH vorgelegte Kernfrage betraf die Voraussetzungen, wann eine Steuerbehörde das Recht auf Vorsteuerabzug basierend auf der Missbrauchsjudikatur versagen darf. Der EuGH ging eingangs darauf ein, dass das Recht auf Vorsteuerabzug ein fundamentaler Grundsatz des europäischen Mehrwertsteuersystems sei. Die Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug aufgrund einer Beteiligung an Steuerhinterziehung oder Rechtsmissbrauch ist eine Ausnahme vom Grundprinzip des Vorsteuerabzugsrecht durch Unternehmer. Im vorliegenden Fall argumentierte die Steuerbehörde, dass die Rechnungen nicht glaubhaft seien, weil die Identität des Lieferers unklar sei; zudem habe der Geschäftsführer von Office Builder gegen seine Verpflichtungen zur Erklärung und Zahlung von Mehrwertsteuer verstoßen hat, was Global Ink hätte bekannt sein müssen.

Grundsätzlich muss das nationale Gericht (bzw in einem ersten Schritt die nationalen Behörden) prüfen, ob Global Ink von dem Mehrwertsteuerbetrug durch Office Builder hätte wissen müssen. Leitlinien, die die nationalen Behörden bei einer solchen Prüfung unterstützen können, dürfen dabei nicht systematisch das Recht auf Vorsteuerabzug versagen, weil damit die Neutralität der Mehrwertsteuer in Frage gestellt werden würde. Die Steuerbehörden müssen demnach nachweisen, dass ein Steuerpflichtiger eine Mehrwertsteuerhinterziehung begangen hat, oder wusste oder hätte wissen müssen, dass der betreffende Umsatz in eine solche Steuerhinterziehung einbezogen war. Die Leitlinien dürfen zudem nicht dazu führen, dass komplexe und umfassende Prüfungen der Lieferanten von Steuerpflichtigen durchgeführt werden müssen, um das Recht auf Vorsteuerabzug geltend zu machen. Eine solche komplexe und umfassende Prüfung wäre zum Beispiel die Prüfung, ob Lieferanten der Steuererklärung und -abfuhr nachgekommen sind. Dabei betonte der EuGH, dass die Beweislast der Versagung vom Vorsteuerabzug der Behörde obliegt.

In der Beantwortung der sechsten Vorlagefrage führt der EuGH zudem aus, dass die bloße Behauptung der Behörde, der Umsatz sei Teil von Karussellfakturierungen, nicht für die Versagung des Vorsteuerabzuges ausreicht. Die Behörde müsse die Tatbestandsmerkmale für Steuerhinterziehung genau bestimmen und betrügerisches Handeln nachweisen. Zudem muss sie belegen, dass der Steuerpflichtige aktiv an dieser Steuerhinterziehung beteiligt war.

Ergebnis

Dieses Urteil betont wieder die Wichtigkeit des Vorsteuerabzugsrechts als einer der Eckpfeiler der Mehrwertsteuersystems. Es ist unstrittig, dass Unternehmer ihre Lieferanten prüfen müssen, wenn sie das Recht auf Vorsteuerabzug geltend machen wollen. Dieser Fall zeigt jedoch, dass diese Prüfung nicht ausufern darf und z. B. nicht die Prüfung umfassen kann, ob ein Lieferant seiner Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung und -abfuhr nachgekommen ist. Zudem hebt der Fall nochmals hervor, dass bei der Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug die Beweislast bei der Behörde zu sehen ist. Eine bloße Behauptung der Beteiligung an Missbrauch oder Steuerhinterziehung kann dieser Beweislast nicht gerecht werden.